Audi-Porsche RS2

High-Performance

 

Fahrleistungen

 

Fahrverhalten

 

Powerpaket

 

Allradantrieb

 

Auftritt

 

Test

 

Technik

 

Insiderinfos

Test aus der Schweizer Automobilrevue Nr. 39/22. September 1994, "AR"-Test 40/1994

 

Einführungstext

Zugegeben, heutzutage ist es nicht mehr besonders originell, das Bild vom automobilen Wolf im Schafspelz zu bemühen, zu oft schon wurde es im Zusammenhang mit äusserlich unscheinbaren Superautos verwendet. Aber es hilft nichts: Bei kaum einem anderen Fahrzeug ist diese Formulierung so treffend wie beim Avant RS2, der unter dem unspektakulären Kleid des Audi 80 Kombi (mit Dachreling!) Hochleistungstechnik kaschiert. Mehr schlecht als recht übrigens, denn nicht nur das intensive Blau des Testwagens (es gibt allerdings auch dezentere Farbtöne), sondern ebenso die voluminöse Frontschürze mit zusätzlichen Kühlluftöffnungen, die auffällig rot lackierten Bremssättel mit Porsche-Schriftzug und die 245/40-17er-Flachreifen liessen jeweils selbst Laien ahnen, dass der vor ihnen stehende Audi Avant etwas ganz Besonderes sein muss. Die Hauptmerkmale des Avant RS2 (Beschreibung in "AR" 9/94): 315-PS-Turbomotor, Vierkolbenbremsen, Sechsganggetriebe, permanenter Allradantrieb. Anvisiert ist eine auf 2200 Exemplare limitierte Serie.

 

Bei der Markenbezeichnung des Avant RS2 könnte es im Grunde jeder nach seinem Gusto halten: Wer ihn als den stärksten und schnellsten je gebauten Serien-Audi bezeichnet, hat sicherlich recht, aber auch derjenige, der von  einem "Porsche Kombi" spricht, liegt nicht ganz daneben. Die Basis des RS2 stammt unverkennbar von Audi (Karosserie 80 Avant, Ausstattung und grösserer Teil der Technik S2), aber Porsche war für die Weiterentwicklung zum veritablen Hochleistungskombi verantwortlich und baut auch den Wagen im Werk Zuffenhausen zusammen.

 

Für die offizielle Markenstatistik allerdings ist der Fall eindeutig: Der Avant RS2 ist ganz klar ein Audi. Zwar zeichnet im juristischen Sinne (und gemäss einer Plakette im Motorraum) die neugeschaffene "Arbeitsgemeinschaft Audi Porsche RS2" als Herstellerin verantwortlich, aber vertrieben wird der Wagen ausschliesslich über das Audi-Netz, und er figuriert auch nur in den Audi-Prospekten. Das Preisetikett: 99'900 Franken.

 

Zwei Gesichter

Was wird dafür geboten? Es versteht sich von selbst, dass bei einem "Audi-Porsche" die schieren Fahrleistungen im Vordergrund stehen. Sonst hätte man es schliesslich gleich beim Audi S2 belassen können, der ja mit seinem 230 PS starken 2.2-Liter-5-Zylinder-Turbomotor und ebenfalls Sechsganggetriebe bereits alles andere als ein Kind von Traurigkeit ist. Tatsächlich trumpft der Avant RS2 in dieser Disziplin trotz des recht hohen Gewichts von 1650kg in eindrücklicher Weise auf: Beim vollen Beschleunigen aus dem Stand ist die 100-km/h-Marke bereits nach 5.3 s erreicht, nach 13.1 s stehen 160 km/h an, und nach exakt 25 s ist ein Kilometer zurückgelegt. Als Höchstgeschwindigkeit ermittelten wir 262km/h; würde der Wagen nicht elektronisch auf dieses Tempo limitiert, könnte er wohl noch einige km/h mehr schaffen.

 

Mit diesen Werten tummelt sich der Expresskombi mit den vier Audi-Ringen exakt in der Region, in der reinrassige Sportwagen vom Schlage des 911 Carrera Platzhirsche sind. Zum Vergleich: Der Porsche benötigt 5.4 s für 0-100 km/h und 24.7 s für den "stehenden km" und erreichte 270 km/h; beim BMW M3 lauten die entsprechenden Werte 5.7 und 25.1 s bzw. 255 km/h.

 

Die reinen Fahrleistungswerte dürfen allerdings nicht so im Raum stehen gelassen werden, denn sie kommen nur unter optimalen Messbedingungen (Stichworte: schlagartiges Einkuppeln bei hoher Drehzahl, extremes Ausdrehen der Gänge, blitzschnelle Gangmanöver) zustande und sind deshalb für den Alltagsverkehr nicht genügend aussagekräftig. Im täglichen Einsatz, wo gute Durchzugskraft und spontaner Antritt aus jedem Drehzahlbereich wichtiger sind als rennmässige 0-100-Sprints, wirkt der Avant RS2 jedenfalls spürbar weniger spritzig als der 911-er-Porsche und der M3 mit ihren vergleichsweise grossvolumigen Saugmotoren. Der Grund: Der aus dem S2-Motor weiterentwickelte, 315 PS starke 2.2-l-Fünfzylinder (grösserer Turbolader und Intercooler, dazu konventionelle Tuningmassnahmen und geändertes Motormanagement) ist ein Turbomotor alter Schule. Will heissen, unterhalb von 3000/min reagiert das Hochleistungstriebwerk (über 140 PS pro Liter) eher träge auf Gas, und es dauert mitunter rund zwei bis drei Sekunden, bis der Ladedruck voll aufgebaut ist und der Wagen wie von einem Katapult abgeschossen vehement davonstürmt. Wird nach dem Ausdrehen des Motors das Gaspedal losgelassen, kommt es manchmal zu einem kurzen "Nachschlagen" des Turbos, eine Eigenart, die Porsche-Turbo-Fahrer nicht unbekannt ist und die Köpfe der Insassen synchron nicken lässt. Abgesehen davon, dass diese Art der Leistungsentfaltung von den meisten Passagieren eher als unangenehm empfunden wird, wird die "Turbo-Gedenksekunden" vor allem in unübersichtlichen, engen Kurven und beim Überholen, also dort, wo auf Sicht und Abwarten gefahren werden muss, störend. Sofern nicht mit deutlich erhöhter Drehzahl eingekuppelt wird (was gerade im Stadtverkehr unzeitgemäss ist), gibt sich der RS2 auf den ersten Metern sogar enttäuschend schlapp.

 

Keinerlei Grund zur Beanstandung  gab der RS2 hingegen bei schneller Autobahnfahrt, in Abschnitten mit langgezogenen Kurven und natürlich auf abgesperrter Rennstrecke. Im Gegenteil: In diesen Situationen hält der Expresskombi mit praktisch allem, was da sonst noch unterwegs ist, problemlos mit. Wer also häufig auf deutschen Autobahnen unterwegs ist, dürfte am RS2 eher Gefallen finden, als derjenige, der einen reaktionsschnellen Sprinter für kurvige Strecken und haarnadelgespickte Passstrassen sucht.

 

Aufmerksamen Lesern dürfte es nicht entgangen sein, dass wir in unserem ersten Probefahrtsbericht zu Beginn dieses Jahres die Leistungsentfaltung des aufgeladenen 315-PS-Aggregats weniger kritisch beurteilt hatten. Was der Grund für diese unterschiedliche Charakteristik ist, konnten wir nicht eruieren. Audi versichert, dass sich die Produktionsserie (aus der der Testwagen stammte) technisch und abstimmungsmässig nicht vom seinerzeitigen Vorserienfahrzeug unterscheidet. Am defekten Klopfsensor des geprüften Fahrzeugs kann es jedenfalls nicht gelegen haben, denn auch nachdem (vor den Messungen!) dieses kleine Teil ausgewechselt worden war, entpuppte sich der RS2 als zwar etwas feinnerviger, nicht aber als grundlegend verwandelt.

 

Der Motor entwickelt einen kräftigen, doch angenehmen und auch bei Drehzahlen über 7000/min nicht zu lauten Ton. Vom Turbolader selbst ist wenig zu hören, aber bei Vollastbeschleunigung macht sich das Bypassventil, das überschüssigen Druck ablässt, bei jedem Gangwechsel durch ein kurzes Fauchen bemerkbar. Kalt- und Heissstart sind problemlos , und auch Bummeltempo akzeptiert der Motor ohne Stottern. Sieht man vom etwas kurz geratenen ersten Gang ab, ist das Sechsganggetriebe gut abgestuft; hingegen könnte die Betätigung leichtgängiger sein. Punkt Verbrauch (im Test-Durchschnitt 13.2 l/100 km) liegt der RS2 etwas über seinen Konkurrenten Porsche 911 (12.4) und BMW M3 (11.9 l/100km).

 

Untadeliges Fahrverhalten

Dass die Fahreigenschaften des Avant RS2 eine Bestnote verdienen, liegt zu einem guten Teil an den überaus effizienten und standfesten Porsche-Hochleistungsbremsen. Sie operieren mit Vierkolben-Leichtmetallbremssätteln und vier belüfteten Scheiben und haben keinerlei Mühe, den Wagen aus Höchsttempo zum Stillstand zu bringen. Auch sehr scharfe Passabfahrten haben keinerlei thermisch bedingtes Nachlassen der Bremswirkung zur Folge. Dem sportlichen Wagencharakter entsprechend, ist das ABS so eingestellt, dass es (bei recht hohem Pedaldruck) erst sehr nahe der Blockiergrenze in Funktion tritt; das ergibt optimale Verzögerungswerte, und die breiten Reifen zeichnen dann schon sichtbare Ratterspuren auf den Asphalt.

 

Im Vergleich zum S2 wurden das Fahrwerk tiefergelegt und die Kennung der Stossdämpfer modifiziert. Anstelle der 205/55-16er-Reifen kommen extrabreite, mit viel Grip aufwartende 17-Zöller (245/40) zum Einsatz. Sie sind auf Leichtmetallräder im Porsche-Design aufgezogen. Das Resultat ist beeindruckend: Exakter Response auf Lenkradbewegungen, einwandfreie Richtungsstabilität auch im Bereich der Spitzengeschwindigkeit, sehr hohe Kurvengeschwindigkeiten. Das Einlenkverhalten ist meist neutral bis leicht untersteuernd; nur in engen Biegungen schiebt der Bug des Avant RS2 mit zunehmendem Tempo massiver gegen aussen und muss durch Loslassen des Gaspedals wieder kurvenwillig gemacht werden. Die Aufbauneigung bleibt in sportwagengerecht engen Grenzen. Gewöhnen muss man sich an die Längsrillenempfindlichkeit der Breitreifen (sie verliert sich allerdings bei hohem Tempo), und auf schlechten Strassenstücken bleibt natürlich nicht verborgen, dass der RS2 ein besonders straff gefedertes und gedämpftes Auto ist.

 

Dank des Allradantriebs mit Torsen-Zentraldiffenrential sind die Traktionsprobleme beim RS2 auch auf rutschigem Untergrund kein Thema.

 

Cockpit-Ambiance

Von den anderen sportlichen Audis unterscheidet sich der Innenraum im wesentlichen nur durch den gekonnten Einsatz von Alcantara als Material für Sitzbezüge und Verkleidungen. Jedenfalls kommt noch etwas mehr Cockpit-Feeling auf, und auch der gute Seitenhalt der mit elektrischer Höhen- und Lehnenverstellung aufwartenden Recaro-Sitze trägt seien Teil dazu bei, dass man sich eher in einem Sportwagen als in einem Kombi wähnt. Aber auch Sicherheit und Komfort kommen nicht zu kurz: In der Schweiz zählt ein Fahrerairbag zur Serienausstattung, und auch eine Klimaautomatik fehlt nicht.

 

Fazit

Die Faszination des Avant RS2 ergibt sich durch die Tatsache, dass er Fahrleistungen und Fahrverhalten eines reinrassigen Sportwagens mit einer trotz verschiedener Modifikationen recht dezent gebliebenen Kombikarosserie vereint. Für das gewünschte Prestige sorgen aber auch der Name Porsche und die limitierte Auflage. Im Verlaufe des Tests kristallisierte sich ein Fazit ganz klar heraus: Wer den RS2 nur in der Schweiz einzusetzen gedenkt, wird dem Highspeed-Kombi zuwenig gerecht. Das Gemeinschaftsprodukt von Audi und Porsche braucht, um seine Qualitäten voll ausspielen zu können, etwas grosszügigeren "Auslauf".

 

Preis

99'000.-- sFr. (Testwagen inkl. Schiebedach und Radio: 102'260.-- sFr.)

 

   
Messergebnisse des Tests:

Bedingungen

Belag: Beton / Belastung: 2 Personen + 10 kg / Aussentemperatur: 18 Grad / rel. Luftfeuchtigkeit: 97 % / Luftdruck: 981 mbar / Km-Stand: 10'400

 

Messungen mit elektronischen Präzisionsinstrumenten

 

Fahrleistungen

Höchstgeschwindigkeit:

262 km/h (Tacho: 270 km/h), elektronisch abgeriegelt

 

Beschleunigung aus dem Stand:

0-40 km/h s 1.4 s; 0-60 km/h 2.8 s; 0-80 km/h 3.9 s; 0-100 km/h 5.3 s; 0-120 km/h 7.4 s; 0-140 km/h 9.6 s; 0-160 km/h 13.1 s; 0-180 km/h 16.6 s; 0-200 km/h 23.9 s; 0-220 km/h 31.5 s; 0-240 km/h 48.0 s

 

Durchzug/Elastizität während der Fahrt:

 

im III. Gang:

40-60 km/h 3.5 s; 40-80 km/h: 5.5 s; 40-100 km/h: 7.1 s; 40-120 km/h: 9.1 s; 40-140 km/h: 11.6 s

 

im IV. Gang:

40-60 km/h 4.7 s; 40-80 km/h: 8.4 s; 40-100 km/h: 10.6 s; 40-120 km/h: 13.1 s; 40-140 km/h: 15.5 s; 40-160 km/h 18.5 s; 40-180 km/h: 21.6 s

 

im V. Gang:

40-60 km/h 6.8 s; 40-80 km/h: 12.3 s; 40-100 km/h: 16.2 s; 40-120 km/h: 18.9 s; 40-140 km/h: 22.3 s; 40-160 km/h 25.6 s; 40-180 km/h: 29.7 s; 40-200 km/h: 34.8 s; 40-220 km/h 41.0 s; 40-240 km/h: 58.0 s

 

im VI. Gang:

40-60 km/h 9.5 s; 40-80 km/h: 17.7 s; 40-100 km/h: 24.2 s; 40-120 km/h: 28.6 s; 40-140 km/h: 32.5 s; 40-160 km/h 36.5 s; 40-180 km/h: 42.0 s

 

Zählereichung

abgelesene km/h = fett, effektive km/h = blau, 

 

40 = 36; 60 = 56; 80 = 76; 100 = 95; 120 = 114; 140 = 133; 160 = 153; 180 = 173; 200 = 192; 220 = 212; 240 = 231; 270 = 262

 

1 km nach Zähler = 1018 m

 

Verbrauch

Gesamtverbrauch im Test

13.2 L/100 km

 

Gemessene Durchschnittswerte im Test

9.4 bis 15.2 L/100 km

 

Bei vorwiegend Autobahnfahrt bis 120 km/h

10.8 L/100 km

 

Bei überwiegend Stadtverkehr

14.9 L/100 km

 

Bei zügiger Überlandfahrt

13.6 L/100 km

 

Ölverbrauch

nicht messbar

 

Treibstoff

Super Plus Bleifrei 98 ROZ

 

Gewichte

Leergewicht (DIN): 1650 kg

Gewichtsverteilung v/h: 57/43%

Leistungsgewicht (DIN): 5.2 kg/PS resp. 7.1 kg/kW 

 

Störungen im Test

Klopfsensor defekt und Poltergeräusche in der Vorderachse

 

 

Test aus Sport Auto Nr3/März 1994